Gewolltes Donnerwetter im Namen des Herrn ?

Heilbronns Theatererfolg

Von Martin Oversohl, dpa

HEILBRONN (dpa/lsw)

Wenn sich im Heilbronner Stadttheater der Vorhang öffnet, ist nicht selten die Bühne frei für offene Kritik. Bundesweit hat sich das kleine Haus am Neckar einen Namen gemacht für kontroverse Ur- und Erstaufführungen. Doch so weit wie jetzt sind die Gegner von Intendant Klaus Wagner und seinem Team zuvor noch nicht gegangen: Am Donnerstagabend musste die Polizei eine Vorstellung des umstrittenen Bibelwerkes "Corpus Christi" wegen einer anonymen Bombendrohung abbrechen lassen. Nach wochenlangen Demonstrationen und Protesten hatte ein Unbekannter zum Telefonhörer gegriffen. Doch noch will sich Theaterchef Wagner durch den Streit um die angeblich gotteslästerliche "Corpus Christi"-Inszenierung nicht von seinem Theaterkonzept abbringen lassen. Seit seiner Gründung 1982 versucht das Haus, in jeder Spielzeit ein Stück auf die Bühne zu bringen, das sich mit der Existenz des Staates Israel auseinander setzt. "Wir übernehmen da keine Partei", betont Wagner. "Die Vergewaltigung des palästinensischen Volkes kommt genauso auf den Spielplan wie zuletzt ein überaus kontroverses Stück über das Attentat auf den früheren israelischen Regierungschef Rabin." "Das kann eine Gesellschaft nicht gestatten", ärgert sich Wagner über den anhaltenden Zorn von Bibelfreunden und Bibelkreisen. "Heute sind es religiöse Konflikte, morgen regt sich jemand über Fasching auf und übermorgen hat man eine andere Ansicht über Scheidungen", meint der engagierte Intendant.

Nicht nur "Corpus Christi" hat Wogen in Heilbronn ausgelöst. Auch die Inszenierung "Die Ermordung des Isaak" sowie die jüngste Premiere in den Kammerspielen "Familiengeschichten.Belgrad" waren keinesfalls leichte Theaterkost. Nun soll eine neue und dritte Spielstätte in unmittelbarer Nachbarschaft spätestens ab Frühjahr 2001 als "Komödienhaus" den Freunden der seichteren Unterhaltung dienen. "Das Schlimmste wäre hier ein Friede-Freude-Eierkuchen-Spielplan, wo die Zuschauer selig hinein und selig wieder hinaus gehen", meint Theatersprecher James McDowell. Rund 13 000 Abonnenten und eine Auslastung von 92 Prozent unterstützen seine These, wonach Kontroverses auf der Bühne ebenso gefragt ist wie klassische Literatur und komödiantische Unterhaltung. "Wir haben es geschafft, unser Publikum in den vergangenen Jahren langsam heranzuführen an die Brisanz der Spielpläne", sagt McDowell. Die "Familiengeschichten" hätte man auf der Bühne am Berliner Platz vor zehn Jahren noch nicht zeigen können, schätzt er. Den nicht immer unumstrittenen Mut zum kontroversen Konzept tragen die Heilbronner auch über die deutschen Grenzen hinaus. Im Herbst 1998 war das Ensemble zu Gast in Israel und Palästina im Gepäck ausgerechnet die Inszenierung von "Nathan dem Weisen". "In Ramallah sind wir mit unserer Geschichte über den 'guten Juden' auf das gleiche Unverständnis gestoßen wie jetzt in Heilbronn", erzählt McDowell. Und auch das aktuelle Donnerwetter im Namen des Herrn spornt ihn eher an: "Wenn wir jetzt ein Stück finden würden über christliche Fanatiker, dann würden wir das sicherlich auch auf den Spielplan bringen."

dpa/lsw ov yy bl