Heilbronner Stimme vom 15.04.2000
Normverstoß und Patchwork-Decke
Von Andreas Sommer
Keine Blasphemie, sondern von großem Ernst für die Person
Jesu getragen ist das Stück "Corpus Christi" in den Augen
des katholischen Theologen Reinhold Zwick von der Katholischen
Fachhochschule Freiburg.
Autor Terrence McNally will nach den Worten des Theologen die Jesusgestalt
für die Gegenwart wiedergewinnen.
Das Stück porträtiert nicht den historischen Jesus von Nazareth,
sondern transformiert Elemente der biblischen Geschichte in die Gegenwart,
sagte Zwick auf der Publikumsdiskussion am Donnerstag.Zwick, Spezialist für
das Thema Jesus und Film, erinnerte daran, dass Jesus zu den
Stigmatisierten seiner Zeit gegangen ist und so gegen die Normen der
damaligen Kultur verstieß.
Womit er auf wenig Gegenliebe bei den Mitglieden der Partei Bibeltreuer
Christen stieß. Ein Teilnehmer sagte, das Stück bestätige
seinen Atheismus. Die moderierende Dramaturgin Elke Maul berichtete von
ganz anderen Erfahrungen mit dem Stück des gläubigen Katholiken
McNally.
Ein aus Frankfurt angereister Zuschauer kritisierte, das Stück sei
eine riesige Patchwork-Decke, in die ein bisschen "Chorus Line",
ein bisschen Bibel und ein bisschen schwule Leidensgeschichte
hineingestrickt sei.
Ohne die Wellen, die das Stück dank seiner Gegner bundesweit
geschlagen hat, wäre sie jetzt nicht hier, bekannte eine aus Hannover
angereiste Zuschauerin. Mit der Transformation ins Homosexuellen-Milieu
habe sie keine Probleme, glaubt aber, dass der Angriff auf kirchliche
Institutionen viele hart trifft.
Dennoch lässt das Stück ihrer Meinung nach Freiräume, die
Gläubige wie Atheisten selbst füllen können.Scharf
kritisierte Reinhold Zwick den Hinweis eines Zuhörers auf Gottes
Strafgericht: "Es ist eine untragbare Aussage, das Stück
beleidige Gott. Was Gott beleidigt, sind die Ausmaße des Protests
und die Pervertierung von zentralen Teilen der Botschaft Jesu."
Zwick, der seine Probleme mit einzelnen Szenen in "Corpus Christi "
zum Ausdruck brachte, wendet sich entschieden gegen die " Verhübschung
und Verharmlosung Jesu" und den " Devotionalienkitsch"."Das
Stück lohnt die ganze Aufregung nicht ", meinte ein
Diskussionsteilnehmer. "Und diejenigen, die McNally beleidigt, machen
auch noch Werbung für ihn."
Dass das "banale Stück" nur schlichte Gemüter erregt,
glaubt Winfried Kretschmann, kirchenpolitischer Sprecher der
Landtagsfraktion der Grünen. Als engagierte Christ hält
Kretschmann Demonstrationen und Gewalt gegen das Theater für völlig
unakzeptabel.
15.04.2000