DIE WELT vom 15.04.2000
Christenbeschleuniger im Stadttheater
Die Bibel als Buch zum Stück: Wie ein schwuler Jesus in Heilbronn Gläubige empört und die Jugend anlockt
VON SUSANNE LEINEMANN
Es regt sich etwas. Tief unten im Dunkel einer Handtasche könnte es
stecken, im dreckigen Bodensatz einer Mülltonne verborgen liegen oder
unauffällig in einem sportlichen Rucksack ins Theater gelangen. Es
tickt eine Bombe. Es regt sich das Ungeheuer einer fundamentalistischen
Religion.
Ginge es nach Regisseur Harald Siebler, müsste das Ungeheuer mit
beiden Händen kräftig am Hals gepackt und aus der Tiefe
mystischen Gärens herausgerissen w erden, Dann säße es auf
einem der bereitgestellten Stühle im Heilbronner Theaterfoyer, die
schuppigen Beine gekreuzt, eine Klaue interessiert unters Kinn geschoben,
und würde brav mitdiskutieren. Aber so benimmt sich das Ungeheuer
nicht. Es lässt lieber Bombendrohungen ticken. Es verschickt anonyme
Briefe und droht, das Heilbronner Stadttheater in Schutt und Asche zu
legen. Mittels Gottesblitzen oder des Jüngsten Gerichts, mit Raketen
oder eben ins Heilbronner Stadttheater geschleusten Bomben. "Mittelalterlich"
sagt Siebler dazu.
Abend um Abend verwandelt er das kleine Heilbronn in eine große
Inszenierung. Drinnen im Theater zeigt er das Stück des texanischen
Purlitzer-Preisträgers Terence McNally um einen homosexuellen Jesus.
Draußen hebt sich schon zwei Stunden früher rund um das
Stadttheater der Vorhang: Es beginnt der Ausnahmezustand. Die Polizei räumt
den Betonbau komplett. Alle müssen hinaus, vom Bühnenarbeiter
bis zum Intendanten. Erst kurz vor der Vorstellung kehren sie nach einer
Leibesvisitation zurück. Im nächsten Akt sammeln sich vor dem
Haupteingang singende Christen, bewaffnet mit Kerzen, Transparenten,
Liedern und Gitarre, während das leere Haus auf Explosives untersucht
wird. Dann kommt es meist zum ersten dramatischen Höhepunkt. Während
hereinströmende Zuschauer und christliche Protestler sich distanziert
beobachten, trifft der anonyme Drohanruf ein: "Heute geht die Bombe
hoch!" oder ähnliches sagt ein Mann mit fränkischem
Zungenschlag. Die Stimmung im Foyer wirkt fiebrig. Nur schnell raus hier,
falls es brennt.
Warum die Aufregung? "König der Schwulen" wird Josua, Sohn
Gottes und Jesus Christus des späten 20. Jahrhunderts, am Ende des Stückes
genannt. Die Geburt durch die Jungfrau Maria findet in einem Motel statt,
nebenan kopuliert man leidenschaftslos. Die dünnen Wände lassen
jeden Ton passieren. Beim Abendmahl tragen die Jünger tuntige Perücken,
schwenken Weinflaschen und gönnen sich eine richtig gute Zeit, außer
Judas, dessen Gesicht vor Neid grün anläuft.
"Gotteslästerlich" , sagen die einen dazu, schreiben
Hunderte Briefe und sammeln Zehntausende Unterschriften. "Ein
legitimes Spiel der Kunst", rufen die anderen. Jesus wird ins Heute
versetzt, in das Milieu der Minderheit der Homosexuellen, denen der
Heiland auch gehöre und die eine Stimme bräuchten. Sie übersehen
dabei geflissentlich, dass Christen mit verletzbaren religiösen Gefühlen
in diesem Land langsam auch zu einer schützenswerten Minderheit gehören..
Zudem zu einer, die nicht sehr populär ist.
"Wir sind keine mächtigen Leute", sagt Prälat Paul
Dieterich, der Regionalbischof von Heilbronn. Das glaubt man dem 50-Jährigen
sofort, wenn er in seinem protestantisch kargen Arbeitszimmer mit den
hellbraunen Möbeln sitzt, unter Büchern, beim obligatorischen
Gummibaum. Kein Prunkring als Zeichen der Würde, kein Gold an den Wänden.
Nur eine schmale Hirtenschaufel mit silberner Pfanne lehnt. am Regal. Der
Theologe sucht die Zwischentöne, und das ist inzwischen schwierig
genug. Nein, ihm missfalle nicht die dargestellte Homosexualität,
sondern der willentliche Tabubruch. "So spricht der Zeitgeist"
sagt er, aber vor dem will er sich nicht verstecken. Und windet sich doch
bei jedem Wort, weil er sich plötzlich auf der anderen, der
wertkonservativen Seite findet. Er, der weltoffene, liberale 68-er, zu
dessen Lebensdevise lang genug der Tabubruch gehörte."Heute
frage ich mich, ob das immer ganz richtig war." Bei all dem Ficken,
Saufen und Pinkeln auf der Bühne wurde ihm ganz anders im Parkett.
Ist denn nichts mehr heilig?
Doch, aber anders. Das ist die Ironie der Geschichte: Das Stück "Corpus
Christi" funktioniert als Christenbeschleuniger. Stünde nach der
Vorstellung vor dem Eingang ein Büchertisch, die Bibel fände
guten Absatz - als Buch zum Stück. Gerade Jugendliche kommen mit geröteten
Bäckchen aus dem Abend, entlassen mit dem Song. "Stairway to
Heaven" und das Herz gefüllt mit einer glücklich machenden
Botschaft. Das Theater schafft hier etwas, woran keimfreie Gottesdienste
scheitern. Es vermittelt das Neue Testament, eine Geschichte von Schuld,
Zweifel, Vergebung, voller Wunder und Wunden. Und das Konzept auf der Bühne
geht auf, weil wenigerHalbherzigkeit und Zaudern im Spiel ist als im Haus
der Christen. Während sich aktive Evangelische und Katholiken fragen,
wie tief sie eigentlich in diese Welt verstrickt oder ob sie nur
hilfreiche Zuschauer sind, von Gott in dies Leben geworfen, Aliens
zwischen den Sündern, greift das Schauspiel in die Vollen. Jesus als
Techno tanzender Homo, der aber Drogen ablehnt. Schau!
Intendant Klaus Wagner weiß genau, was er tut: "Wir sind doch
heute der Kirchenersatz." Das Theater als letzte funktionierende
moralische Instanz, zwar hoch subventioniert und am Tropf der öffentlichen
Gelder hängend, aber ganz kregel. Unverhohlen stolz berichtet er
davon, wie das Neue Testament auf seiner Bühne entkrustet wurde. "Frech,
aktuell und ein bisschen banal", nennt Wagner die Inszenierung und
weiß, sie kommt an. Was da ankommt, sind Bilder. Die Hoheit über
ihre eigenen Bilder hat die Kirche längst verloren. Betuliches
Krippenspiel mit Ochs und Esel bedient auf den Theaterbrettern höchstens
noch die Ironie. Zeitgeist ist Wagners Geschäft. " Ich bin
verantwortlich für die Mehrheit." Für die 15 000 Menschen,
die das Stück schon gesehen haben. Auch diese Vorstellung war lange
ausverkauft.
Der Abend ist vorüber, es ist Mitternacht, und es regnet in
Heilbronn. Die protestierenden Christen sind verschwunden, nur ihre Kerzen
stehen noch windgeschützt am Eingang zur Tiefgarage. Es ist sehr
dunkel, sehr menschenleer. Irgendwo dort draußen brüllt wund
gerieben das Ungeheuer. Es ist ein sehr einsames Biest.
Nächste Aufführungen: 5. und 26. 5.; Karten: (07131) 56 30 01