Heilbronner Stimme vom 23.02.2000

"Corpus Christi": Morddrohungen und Psychoterror gegen OB Himmelsbach und Intendant Wagner

"Faschistoider Bodensatz outet sich"

von Andreas Sommer
Die Protestmaschine gegen das Stück "Corpus Christi" am Theater Heilbronn läuft wie geschmiert. OB Helmut Himmelsbach wird mit Anrufen bombadiert, auch spät am Abend zu Hause. Im Theater stapeln sich die Protestbriefe und -faxe. Himmelsbach spricht von "Psychoterror" und einer "gesteuerten Kampagne", während er die Morddrohung gegen sich "nicht so tragisch" nimmt.
Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen dieser Morddrohung gegen Unbekannt. "Die Maschinerie hat sich in Gang gesetzt", sagt Himmelsbach, der die anonyme Drohung am liebsten im Papierkorb gesehen hätte. Personenschutz braucht er noch nicht, meint Himmelsbach sarkastisch, mag aber eine weitere Eskalation nicht ausschließen. Die gleiche Morddrohung ("Betrachten Sie ihr Leben und das aller Beteiligten als verwirkt und dem Ende preisgegeben") erhielt auch, wie berichtet, Theaterintendant Klaus Wagner.
Woher kommt diese späate Eskalation? Warum werden bundesweit über 11 000 Unterschriften gegen ein Stück gesammelt, in dem es um einen homosexuellen Jesus und Nächstenliebe auch für Normabweicher geht? Wagner zieht daraus eine gesellschaftspolitische Erkenntnis:" Der faschistoide Bodensatz, der nebulös vorhanden war, outet sich. Jetzt trauen sie sich aus ihren Mauselöchern in der christlichen Ecke". Dass sich solche Christen im Bewußtsein der Gnade wähnen, beweise, dass sie die Religion für sich selber als Ort der Strafe, der Rache und der Angst beschreiben und zwangsweise auf andere übertragen wollen.
Dass Theater es wieder schafft, Thema einer Debatte und ein aktuelles Ärgernis zu sein, ist in den Augen Wagners der positive Nebeneffekt des Falles "Corpus Christi". Die überwiegende Mehrheit der Protestierer kennt das Stück überhaupt nicht - das ist für Theater-Pressesprecher James McDowell das eigentlich Schlimme. "Sie wissen, dass sie nichts wissen und über das Stück auch nichts wissen wollen", ergänzt Wagner, "und sich von Leuten instrumentalisieren lassen, die auch nichts wissen".
OB und Intendant sind sich einig, dass sie dem Druck nicht nachgeben wollen. Nach wie vor erhält Wagner auch viele positive Briefe, darunter auch von Pfarrern, die sich das Stück mit Schulklassen anschauen und über die fundamentalistischen Eiferer nur den Kopf schütteln können. Eine Jugendliche schrieb Wagner, sie hätte durch das Stück erst ein Gefühl für Religiösität gefunden.