Stuttgarter Zeitung vom 30.05.2000

Ein Sturz in die Hölle

¸¸Corpus Christi'' kommt nun doch nach Ulm - als Lesung

Interessierte Ulmer Bürger können das umstrittene Stück ¸¸Corpus Christi'' von Terrence McNally jetzt zwar nicht im Großen Haus des Ulmer Theaters sehen, aber nun doch auf einer Werkstattbühne im Fort Unterer Kuhberg in den Räumen der Akademie für darstellende Kunst hören. Nach dem Rückzug des Ulmer Theaterintendanten springt der Leiter der Schauspielschule, die sich als Akademie für darstellende Kunst (adk) aus der Konkurs gegangenen spielstatt neugegründet hat, in die Bresche. ¸¸Wird die Kunst, wird Theater reduziert auf Hofnarren-Niveau? Auf Sandkasten-Seppeleien?'', so fragt der adk-Leiter Ralf R. Reimann. Und: ¸¸Wer Andersdenkende bedroht oder (finanziell) unter Druck setzt, stellt Meinungsfreiheit und die Freiheit der Ausübung der Kunst in Frage.'' Die Absage des Intendanten Ansgar Haag sei eine ¸¸Bankrotterklärung'' gewesen, so Reimann weiter. Im Anschluss an die Lesung soll eine Podiumsdiskussion stattfinden.

Inzwischen hat auch der Landesverband des Deutschen Bühnenvereins die Absage des Ulmer und des Karlsruher Theaters ¸¸mit Bedauern'' zur Kenntnis genommen. Der Verbandsvorsitzende, der Ulmer Kulturbürgermeister Götz Hartung, wendet sich in der kurzen Stellungnahme vor allem dagegen, dass ¸¸auf diese Weise dem öffentlich ausgeübten Druck gegen die Freiheit der Kunst sowie der massiven Beeinflussung von Theaterarbeit'' nachgegeben wird. Der Bühnenverein unterstütze deshalb alle Theater, die ihren Zuschauern die Gelegenheit geben wollen, sich mit dem Stück und den Heilbronner Begleitumständen auseinander zu setzen. Tübingen, Pforzheim und Freiburg sehen keinen Grund, das Gastspiel abzusagen, heißt es in der Erklärung.

Ob das so stimmt, muss sich noch zeigen. Inzwischen fordert auch die CDU in Freiburg ein Verbot des ¸¸Corpus-Christi''-Gastspiels. Der Ulmer Intendant hatte sich bekanntlich auch der lokalen Union beugen müssen, die seinem Haus mit finanziellen Folgen für den Theateretat drohte für den Fall, dass das Stück aufgeführt werde. Haags Entscheidung hat die Diskussion nun erst recht angefacht. Inge Fried, Ehefrau des verstorbenen Kunstmäzens und Herausgebers Kurt Fried, sprach angesichts der ¸¸freiheitlichen Kulturtradition'' Ulms von einem ¸¸Sturz in die Hölle''.

Von Annegert Bock