Die Welt vom 28.06.2000

Wer provoziert?

Kommentar
Von Alan Posener

"Meint ihr, ich bin gekommen, um euch den Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage: nein, sondern Zwietracht." So sprach Jesus (Lk 12,51) und so ist es gekommen, bis auf den heutigen Tag, da der Streit um das Stück "Corpus Christi" eskaliert, mit Protesten christlicher Basisgruppen und Verbotsforderungen lokaler CDU-Politiker einerseits, Solidaritätsaufrufen der Theaterleute und Betroffenheitsbekundungen der üblichen Verdächtigen andererseits. Bevor die ganze Affäre zum Glaubenskrieg eskaliert, tut - gerade zum Fest Christi Himmelfahrt - ein wenig Nachdenken gut.

Corpus Christi heißt die texanische Stadt, in der das Stück des Katholiken Terrence McNally spielt: Leib Christi. Morgen feiern Christen den Tag, an dem der Mann aus Galiläa mit diesem von einer Frau geborenen, bespuckten, geschundenen, getöteten Körper am Ölberg bei Jerusalem vor den Augen seiner Jünger entschwand: "Nachdem der Herr Jesus mit ihnen geredet hatte, wurde er aufgehoben gegen Himmel und setzte sich zur Rechten Gottes", berichtet Markus (16,17).

Dieser Jesus war nicht unumstritten; seine Mutter wurde als Hure, seine Jünger als Gesetzesbrecher, er selbst als Libertin beschimpft: "Johannes (der Täufer) ist gekommen, aß nicht und trank nicht; so sagten sie: Er ist besessen. Der Menschensohn ist gekommen, isst und trinkt; so sagen sie: Siehe, was ist dieser Mensch für ein Fresser und Säufer" (Mt 11,18f). Dass also in McNallys Stück die Jünger als Trinker dargestellt werden, ist weder neu noch furchtbar schlimm. Und die Insinuierung, Jesus sei schwul gewesen: Pennälerprovokation einerseits. Andererseits ist etwa die Kunst der Renaissance kaum denkbar ohne die vielen, durchaus ihrer homoerotischen Komponente bewussten Bilder von Jesus mit Johannes, dem "Jünger, den er liebte".

Zeugen die Verbotsforderungen gegen McNallys Stück also von einer gewissen provinziellen Ignoranz - wie sie übrigens McNallys Absichten verkennen - so ist der Befund für das Theater bedenklicher. "Corpus Christi" verletzt das religiöse Empfinden gerade solcher Menschen, die nicht zum bildungsbürgerlichen Stammpublikum der subventionierten Theater zählen. Wem nützt die Injurie? Ist sie nicht Kapitulation vor der Tatsache, dass dieses aufgeklärte Publikum auch abgeklärt ist, noch jede Provokation zynisch goutiert? Dass seine Gefühle nicht zu verletzen sind, weil es keine tiefen Gefühle hat? Nicht das Theater provoziert die Gläubigen, wie es glaubt, sondern: Dass so Unerhörtes wie Christi Himmelfahrt geglaubt wird, provoziert das Theater. Und das ist, obwohl es die Gegner von "Corpus Christi" nicht wissen, die gute Nachricht.