Hamburger Abendblatt vom 27.06.2000

Intendant mit Mord bedroht

Wegen "Corpus Christi" - Flimm kritisiert Hessens Landesregierung

Kassel - Vor einem Gastspiel der umstrittenen Heilbronner Produktion "Corpus Christi" am Staatstheater in Kassel sind gestern der Intendant Christoph Nix und seine Familie mit dem Tod bedroht worden. Die Morddrohungen seien auf die öffentliche Kritik der hessischen Landesregierung an der Aufführung gefolgt, sagte Nix. Die Polizei räumte das Staatstheater am Nachmittag und durchsuchte die Räume mit drei Sprengstoffsuchhunden und 60 Beamten. Die Aufführung am Abend sollte von Beamten in Zivil gesichert werden; zu Demonstrationen kam es zunächst nicht.

"Für diese Übergriffe tragen der hessische Ministerpräsident und die Kunstministerin die alleinige Verantwortung", behauptet Nix. Die Drohungen stammen nach seiner Einschätzung von gewaltbereiten Kreisen, die sich mit dem Etikett "christlich" schmückten. Die Landesregierung hatte die Aufführung des Theaterstücks des amerikanischen Autors Terrence McNally am Freitag missbilligt.

Seit Bestehen der Bundesrepublik sei noch kein Intendant in dieser Form von der vorgesetzten Dienstbehörde gerügt und unter Druck gesetzt worden, sagte Nix. Die vom Grundgesetz geschützte Kunstfreiheit erlaube auch eine Auseinandersetzung in religiösen Fragen, selbst wenn ein Teil der Besucher dies als provokativ empfinde. Niemand werde durch die Aufführung daran gehindert, seine religiöse Überzeugung zu äußern und demgemäß zu handeln.

Als unzulässigen Einmischungsversuch der Politik kritisierte der Präsident des Deutschen Bühnenvereins, Jürgen Flimm, das Vorgehen der Landesregierung und des Kasseler Oberbürgermeisters Georg Lewandowski (CDU), der sich der Kritik angeschlossen hatte. "Politiker sollen sich aus Spielplanentscheidungen heraushalten", meinte Flimm. Über das Theaterstück könne erst entschieden werden, wenn es aufgeführt werde. "Einer Bevormundung durch Politiker bedarf das Publikum nicht."

Unterdessen sprach sich die thüringische Kunstministerin Dagmar Schipanski (CDU) für die Gestaltungsfreiheit des Intendanten aus: "Demokratie lebt von der Vielfalt und der Auseinandersetzung mit Andersdenkenden. Das bedeutet für mich zugleich eine Verantwortung dafür, dass ästhetisches Empfinden und religiöse Gefühle der Zuschauer nicht verletzt werden." Freiheit der Meinungsäußerung und Freiheit der Theater seien für sie sehr hohe Güter. Sie habe 40 Jahre in einem Staat gelebt, in dem die Politik bestimmt habe, was auf den Bühnen des Landes gespielt wurde und was nicht.

In dem Stück stellt Pulitzer-Preisträger McNally Jesus und seine Apostel unter anderem als trinkfreudige Homosexuelle dar. Die Produktion ist morgen in Hamburg auf Kampnagel zu Gast. (dpa)