Am Anfang war das Wort und gleich danach der Streit

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Von Christine Richard

Bibel-Fest: «Corpus Christi» beim Freiburger Theaterfestival - und eine neue heilige, christlich-islamische Allianz

Jesus kam nur bis Eboli, New York, London, Heilbronn, Hamburg und Weimar. Nach Zürich kam das mit Bomben und Fatwa bedrohte Bibel-Stück «Corpus Christi» von Terrence McNally nicht; der Saal dort war schlichtweg zu klein. Jetzt gelangte Christus rechtzeitig vor der Tour de France wenigstens bis ins badische Freiburg - im Gastspiel von «Corpus Christi», importiert aus dem schwäbischen Heilbronn.

Jubel, Polit-Trubel und Heiterkeit: So freudig und erregt wie vor der Aufführung von «Corpus Christi» ist es beim Freiburger Theaterfestival schon lange nicht mehr zugegangen seit den seligen achtziger Jahren, als Hausbesetzer noch das Freiburger Theater zu stürmen drohten.

Jetzt kämpfen sie wieder, aber andere diesmal. Glaubensbrüder gegen Theaterleute. Orthodoxe gegen Homosexuelle. Für und wider ein Theaterstück, in dem Jesus und seine Jünger einen nicht nur religiös motivierten Verkehr miteinander pflegen. Hoch die Plakate und Transparente vor dem Theater! Lesben gegen «Christen-Faschisten». Homosexuelle für die freie Liebe - oder doch lieber für die gut bürgerliche Ehe Mann mit Mann? Aufgebrachte Bibelfreunde warnten Theaterbesucher: «Stopp, tut euch diese Sünde nicht an.» Sie taten es dennoch. Die Zuschauer stiegen unter Polizeibewachung und nach einer Leibesvisitation hinab in den Höllenpfuhl Theater. Sie wollten wissen, was ist dran am homo- sexuellen Mann namens Jesus. Und siehe, es war gut so. Harmloser, als es übler Instinkt-Verdacht annahm. Die Heilbronner Inszenierung erwies sich als Bibel-Fest. Gegen Shakespeares gotteslästerlichen Richard III. etwa sind Jesus und seine Jünger, made in Schwaben, reine Waisenknaben.

Das Stück

Mag es religiösen Fanatikern auch nicht gefallen: Sogar eine Theateraufführung hat ihre eigene Schöpfungsgeschichte. Am Anfang von «Corpus Christi» war das Wort, war ein Dramentext, was im Gegenwartstheater der Projektemachereien keine Selbstverständlichkeit ist. «Corpus Christi» ist ein besonders starkes, weil doppeldeutiges Wort. Es meint nicht nur den heiligen Leib des Gottessohnes, sondern auch einen recht profanen Ort in Texas; Corpus Christi ist die Heimatstadt des 1939 geborenen Autors Terrence McNally.

Homoerotische College-Atmosphäre und die Männerschar der Apostel; Motel und Mariae Empfängnis; US-Jugendkultur und biblische Jünger: Beides ist eingeflossen in McNallys Lebensgeschichte, alles ist bei ihm verquickt in Jesus' Leidensgeschichte - und durchaus christlich gesinnt wägt er das Himmlische auf gegen das Irdische. Das Böse samt Gossen-Jargon, sexuellem Judas-Kuss, Stricher und Streichel-Priester kommt ausführlich zu Wort - aber nur als Prüfung, um das Gute in Jesus zu erweisen.

Jesus segnet, heiliger Strohsack, sogar eine Homo-Ehe: Aber berichtet nicht schon das Alte Testament von der Liebe zwischen David und Jonathan? Am Abendmahl bei Rotwein und Lammbraten herrscht ausgelassene Stimmung: Warum eigentlich nicht? Jesus gilt am Schluss als «Schwuler» - aber vor allem dem Hohepriester und dem Volk, das von ihm abfällt, das böse. McNally zielt auf Gesellschafts-, nicht auf Religionskritik. Und er spekuliert auf Lacherfolge, die sich entzünden können an der Reibfläche zwischen US-Alltagssprache und biblischer Geschichte. Während andere amerikanische Autoren von O'Neill über Albee bis Shepard alltägliche Situationen mythisch überhöhen, geht McNally den umgekehrten Weg und profanisiert die biblische Geschichte - doch Zitate aus der Heiligen Schrift behalten bei ihm das letzte Wort in der Kreuzigungsszene. Auch strammgläubige Christen kommen zu ihrem Recht. - Am Anfang war das Wort, und es ward gut gemeint und flott geschrieben. Um Protesten prüder oder puritanischer US-Amerikaner vorzubeugen, hat McNally noch einen zusätzlichen Schreibtrick angewendet: Das gesamte Stück entwickelt sich aus einer Probensituation von 13 Schauspielern heraus, ist nur Theater auf dem Theater, ist nur ein Entwurf der biblischen Geschichte, wie sie sich Schauspieler-Leute von heute ausdenken könnten.

Die Aufregung

Für religiöse Fundamentalisten mit dualistischen Weltbildern ist das nun ein bisschen zu viel an komplizierter Schein-Sein-Eulenspiegelei. Weshalb es McNallys Drama ergeht wie Gottes Wort: Nur selten wird es studiert und richtig gehört. Weshalb schon bei der Uraufführung von «Corpus Christi» 1998 in New York der Teufel los war. Die «Katholische Liga für religiöse Rechte und Bürgerrechte» drohte dem Autor mit Hinrichtung und dem Theater mit Bomben, weshalb das Stück rasch vom Spielplan verschwand und erst nach massiven Protesten gegen solche künstlerische Selbstzensur wieder angesetzt wurde. Als das Bibel-Drama zu seiner Londoner Premiere 1999 auftauchte, war gleich der Führer der islamisch-fundamentalistischen Splittergruppe al-Muhajiron zur Stelle, um eine Fatwa gegen den Autor auszusprechen. Islamische Fundamentalisten und christliche Eiferer kämpften zum ersten Mal Seit' an Seit' gegen die vermeintliche Gotteslästerung im Theater - und nicht zum letzten Mal. Anlässlich der deutschsprachigen Erstaufführung von «Corpus Christi» in Heilbronn im Herbst 1999 machten die «Bibeltreuen Christen» mobil mit Mahnwachen und Unterschriftensammlungen; radikale Muslime verfluchten Regisseur Harald Siebler und den Jesus-Darsteller Luis Madsen im Internet; eine Organisation, die sich «Hamas» nennt - wie die muslimischen Fanatiker im Nahen Osten - drohte mit einer Rakete aufs Heilbronner Schauspielhaus. Wegen Bombendrohungen musste eine Vorstellung abgebrochen werden. Klaus Wagner (69), seit zwanzig Jahren Intendant im stillen Heilbronn, konstatierte im «Spiegel»-Interview: «Und nun versinken wir in einer Welle von Telefon- und Briefterror und handfester Drohung. Da ist jetzt wirklich der faschistische Bodensatz hochgekommen - von Strafphantasien bis hin zu sexuellen Szenarien.» Als der Deutsche Bühnenverein seine Theater dazu aufrief, aus Solidarität die Heilbronner Kollegen zu Gastspielen einzuladen, sagten einige Theater zu, andere scheuten zurück unterm Druck konservativer Politiker. 40 CDU/CSU-Abgeordnete forderten einen sofortigen Aufführungsstopp. Die hessische Landesregierung (CDU/FDP) missbilligte offiziell die Aufführung in Kassel, woraufhin Kulturstaatsminister Michael Naumann auf Bundesebene wiederum die Miss- billigung missbilligte und der Kunstfreiheit eine Bresche schlug.

Die Inszenierung

Auch für das Freiburger Theater war es nur liberale Gesinnungspflicht, die sinnenfreudigen Heilbronner Jünger mit ihrem Jesus einzuladen. Auch in Freiburg gab es bei Kundwerdung des Gastspiel-Vorhabens eine Menge Ärger. Flugblätter, Leserbriefschlachten, Demonstrationen. Vor allem der katholische Pfarrer Pietrek aus Lippstadt triebs hart und wetterte im Verein mit den «Deutschen Konservativen e.V.» gegen das Stück in einer Anzeige: «Grossmutter Maria als Hure - Joseph als lüsterner Greis, Christus als versoffener Homo und die Jünger als Stricher.» Wer wollte sich so etwas entgehen lassen? Gewiss nicht die Freiburger. Was sahen sie bei der Vorstellung? Alles Theater. Alles andere als blasphemisch. Immer deutlich: Wir spielen nur, dass wir die biblische Geschichte spielen. Unterhaltsam gemacht, wobei der nötige Ernst nicht fehlte. Tolle Schauspieler, das Bühnenbild perfekt, das Streulicht fein gefiltert. Vielleicht ein bisschen langatmig im Timing. Aber der Zielkonflikt der Grundwerte - freie Religionsausübung contra Kunstfreiheit - geht weiter. Nicht mehr einfach nur Orient gegen Okzident. Sondern eine neue christlich-erzkonservativ-fundamental-islamische heilige Allianz formiert sich gegen das Toleranzedikt des Westens. Jesus war da ein bisschen freizügiger, wenn er seinen Nächsten liebte, ganz gleich, ob Mann oder Frau, ob in Ost oder West.

Alles Theater. Alles andere als blasphemisch: «Corpus Christi» in Freiburg.

Foto Frahm