Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.02.2000

Mahnschwäche

Morddrohungen wegen "Corpus Christi" in Heilbronn

"Wir wollen Ihnen heute eine alte, wohlbekannte Geschichte erzählen.Eine, die Sie alle wieder und wieder gehört haben", sagt der "Schauspieler" im Schauspiel Corpus Christi" von Terrence McNa1ly, dann geht der Vorhang auf, und der Heilige Johanes segnet und tauft die Jünger Jesu, einen nach dem anderen. lauter Schau- und Rollenspieler, die auch schon mal einen Elvis-Presley-Song singen, über ihre Liebesaffären tratschen und im Übrigen "Wohlgefallen" an sich und den anderen Männern haben. Und wenn Petrus das "Herz von Josua (Jesus) schlagen hört", dann "hört er Gott". Der Heilige Philipp retourniert auf das Geständnis von Josua, dass dieser ihn ,,liebe" mit "Ich liebe dich auch, Schatz", aber auch mit. "He, mach. mich nicht an!". Man trinkt, man plaudert, man hat Emphasen und ekelt sich oder schwelgt im homoerotischen Hin und Her. Das Ganze: , eine Mischung aus Kitsch, Schwulst und jenem heiligen Gratis-Frechheitsernst, wie ihn nur noch Kabarett oder der schwule Boulevard-Underground zu stande bekommt.

Im Heilbronner Stadttheater läuft dies harmlose. Stückchen seit ein paar Monaten. Nach ersten Demonstrationen, und zahlreichen Protestbriefen christlicher und auch muslimischer Gruppen sind inzwischen auch anonyme Morddrohungen gegen den örtlichen Intendanten Klaus Wagner und den Oberbürgermeister Helmut Himmelsbach eingegangen. Die Kriminalpolizei ermittelt dieserhalb. Bibelkreise und Bibeltreue sammelten bislang rund 15 000 Unterschriften gegen die "Verunglimpfung des Christentums". Eine Hausfrau aus Wangen, Vertreterin einer "sanften und marianischen Bewegung", organisiert die natürlich. "bundesweite" Abwehrreaktion: "Wir werden von Anfang bis zum Ende, Szene für Szene, in unseren religiösen Gefühlen verletzt durch die Fäkalsprache aus dem billigsten Milieu." Vor der Türen des Theaters gibt es "Mahnwachen" der Erregten, die das Stück gar nicht gesehen haben. Der Intendant gibt sich tapfer, schüttelt den Kopf, will "so etwas noch nicht erlebt haben" und sich "nicht beeinflussen lassen". Auch der Oberbürgermeister steht in Treue fest zum Theater und verweist. auf "die Freiheit der Kunst". Das Theater hat seinen Skandal. Und seine überregionale Aufmerksamkeit. Der Kartenverkauf läuft hervorragend. Alle nächsten Vorstellungen sind ausverkauft. So nutzt der Protest auch der Platzausnutzung.

Die "erregten" und in "ihren religiösen Gefühlen beleidigten" Protestierer aber haben beim Kerzenschein der Mahnwachen oder auch beim Verfassen von Morddrohungen Gelegenheit, ihre Gefühle einmal zu prüfen: Wenn Jesus, Christus wirklich und wahrhaftig, was sie ja wohl glauben, für alle Menschen gestorben ist, dann doch auch für einen Dramatiker wie McNally? Und für einen deutschen Intendanten sowieso - zur Vergebung aller Sünden, wozu wahrlich schwerere gehören, als McNally zu spielen. Was also Jesus vergibt, das könnten sie auch vergeben. Dieser hat mehr ausgehalten als ein paar Heilbronner McNally-Zoten. Wer ihn dagegen verteidigt, macht ihn klein. Und da sein Leben und Sterben, woran die Christen doch alle glauben, alle menschliche Natur inbegriff, würde er darüber nur gelächelt haben, von einem amerikanischen Dramatiker einer von der Natur (und Gott) offenbar auch ziemlich vorgesehenen Neigung wie der Homosexualität verdächtigt zu werden.

G.St.