Badische Zeitung vom 28. Juli 2000

Staatsanwalt erwägt Ermittlungen wegen Flugblatt

Gerät jetzt die Post ins Visier?

Die Verteilung eines mutmaßlich volksverhetzenden Flugblatts der Partei „Christliche Mitte“ könnte auch Ermittlungen gegen die Post nach sich ziehen. Wie der Evangelische Pressedienst (epd) meldet, prüft die Staatsanwaltschaft Freiburg die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.

Es sei zu untersuchen, welche Stelle bei der Post für die Verteilung der Wurfsendung mit dem Titel „Nein zur Homosexualität“ verantwortlich gewesen sei, sagte Oberstaatsanwalt Wolfgang Maier dem epd gestern. Gegen die für den Inhalt Verantwortlichen hat die Staatsanwaltschaft bereits ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet. Die Wohnungen des Lippstadter Pfarrers Winfried Pietrek, der auch die Demonstration gegen „Corpus Christi“ in Freiburg organisiert hatte, und zweier Funktionäre der „Christlichen Mitte“ sind durchsucht worden.

Das Flugblatt der „Christlichen Mitte“ war eine Woche vor der Aufführung des Theaterstücks „Corpus Christi“ von den Zustellern der Post an Freiburger Haushalte verteilt worden. Es unterstellt homosexuellen Menschen eine „unreife, egozentrische und infantile Persönlichkeit“. Sie seien „Sklaven pervertierter Sexsucht“. Die Staatsanwaltschaft hält diese Verunglimpfungen für volksverhetzend. In der vergangenen Woche erwirkte sie einen Beschluss, der die Beschlagnahme des Flugblattes ermöglichte. Der Post wurde untersagt, die Exemplare des Flugblattes, die die Christliche Mitte noch im Umland Freiburgs zustellen lassen wollte, zu verteilen.

Bei der Post war gestern von eventuellen Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Unternehmens noch nichts bekannt. Der Stuttgarter Postsprecher Gerold Beck verteidigte gegenüber der BZ noch einmal die Verteilung des Flugblatts: „Wir sind die Transporteure, nicht die Verfasser“, sagte er. Von den Hausjuristen sei das Flugblatt nach der Einlieferung durch die „Christliche Mitte“ überprüft worden. Wie stets in solchen Fällen hätte dies allerdings sehr schnell gehen müssen, weil Zustellungen nicht unberechtigt verzögert werden dürften. Deshalb gehe es bei der Prüfung auch „nur um eindeutige Aussagen“ auf einer Postwurfsendung. „Wenn etwas nicht gegen das Strafrecht verstößt, müssen wir es zustellen“, sagte der Sprecher.

Im Fall der Zustellerin, die sich geweigert hatte, das Flugblatt auszutragen, wird intern bei der Post noch über das weitere Vorgehen beraten. Vor weiteren arbeitsrechtlichen Schritten soll die Entscheidung eines Gerichts abgewartet werden, ob das Flugblatt volksverhetzend ist.

tst